Reaktive Arthritis: Wenn Infektionen in Gelenken Spuren hinterlassen
Insbesondere bei jungen Erwachsenen kann eine durch Bakterien ausgelöste Erkrankung noch Wochen später starke Gelenkbeschwerden auslösen. Dann sprechen Ärztinnen und Ärzte von einer reaktiven Arthritis. Wie sie sich bemerkbar macht, nach welchen Infektionen sie besonders häufig auftritt und womit sie am besten behandelt werden kann, fassen wir in diesem Text für Sie zusammen.
Reaktive Arthritis: Übersicht
- Auslöser: Besonders häufig tritt eine reaktive Arthritis (ReA) zwei bis vier Wochen nach einer bakteriellen Infektion der Geschlechtsorgane, im Magen-Darm-Trakt oder in den Atemwegen auf.
- Dauer: Überwiegend heilt eine akute ReA innerhalb von sechs Monaten aus. 10 bis 30 Prozent der Betroffenen entwickeln eine chronische ReA.
- Symptome: Gelenkschmerzen, Gelenkschwellungen und Gelenkentzündungen, Schmerzen im unteren Rücken, Augenentzündungen, Hautveränderungen
- Diagnose: Um eine ReA zu diagnostizieren, führt der Arzt ein Anamnese-Gespräch und eine körperliche Untersuchung (Ultraschall, Röntgen) durch, lässt Stuhl- und/oder Urinproben im Labor analysieren und die Entzündungswerte im Blut bestimmen.
- Häufigkeit: Eine ReA kommt etwa bei 30 bis 50 von 100.000 Menschen vor. Wer den Erbfaktor HLA-B27 in sich trägt, entwickelt häufiger eine ReA.
- Medikamente: Eine ReA kann mit verschiedenen Medikamenten behandelt werden: nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), Glukokortikoide, Antirheumatika oder monoklonale Antikörper.
- Prognose: Eine ReA spricht im Allgemeinen gut auf die Behandlung an und hinterlässt keine dauerhaften Gelenkschäden.
Bakterien verbergen sich in den Gelenken
Gelingt es Krankheitserregern in unseren Körper einzudringen, schaut unser Immunsystem nicht tatenlos zu. Im Gegenteil: Es mobilisiert sofort all seine Kräfte, um die Eindringlinge möglichst schnell wieder loszuwerden.
Spezialisierte weiße Blutkörperchen markieren die Krankheitserreger, fressen sie auf oder bilden sogenannte Antikörper, die es dem Immunsystem beim nächsten Mal noch leichter machen sollen, den Feind zu erkennen. Dabei spielen verschiedene Botenstoffe eine wichtige Rolle. Sie lösen im Körper eine Entzündungsreaktion aus, die u.a. auch dazu führt, dass erkrankte Menschen zuweilen Fieber bekommen.
Hat das Immunsystem die Krankheitserreger dann nach einigen Tagen unschädlich gemacht, heute zum Glück oft mit tatkräftiger Unterstützung von Medikamenten, klingen die Beschwerden ab und der Körper erholt sich.
Nicht so bei einer reaktiven Arthritis
Forschende nehmen heute an, dass nach einer bakteriellen Infektion, die einige Betroffene manchmal gar nicht oder kaum bemerken, Bakterien oder Teile von Bakterien in bestimmten Gelenken verbleiben, dort vom Immunsystem erneut als „Fremdstoffe“ identifiziert werden und infolgedessen eine Gelenkentzündung (Arthritis) hervorrufen.1,2
Erstmals wurde die reaktive Arthritis 1916 von dem deutschen Arzt und Bakteriologen Hans Reiter (1881-1969) beschrieben, der im Ersten Weltkrieg Soldaten behandelte. Aufgrund der Enge und der unzureichenden Hygiene in den militärischen Lagern kam es dort häufig zu bakteriellen Infektionen.
Eine Krankheit mit dunkler Vergangenheit
Vor allem Magen-Darm-Erreger und Chlamydien breiteten sich unter den Soldaten immer wieder aus. Bei einem von ihnen beobachtete Hans Reiter, dass nach einer bakteriellen Infektion drei Symptome gleichzeitig auftraten, eine sogenannte Trias:
- Gelenkentzündungen (Arthritis)
- Bindehautentzündung (Konjunktivitis)
- Harnröhrenentzündung (Urethritis)
Hans Reiter schlussfolgerte daraus, dass diese drei Beschwerden eine zusammenhängende Erkrankung darstellten, die in Reaktion auf eine bakterielle Infektion auftraten. Daher wurde die reaktive Arthritis zunächst „Reiter-Syndrom“ genannt.
Der Begriff „Reiter-Syndrom“ wird heute bewusst nicht mehr verwendet
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde jedoch bekannt, dass Hans Reiter ein überzeugter Nationalsozialist war und an menschenverachtenden medizinischen Experimenten beteiligt war. Er hatte hohe Positionen im Nazi-Regime inne und war unter anderem in das „Euthanasie“-Programm verwickelt, dem hunderttausende Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen zum Opfer fielen. Seit den 1970er Jahren wird der Begriff „Reiter-Syndrom“ daher nicht mehr verwendet, sondern ausschließlich von reaktiver Arthritis gesprochen.3,4
Häufigkeit: Wie oft kommt eine reaktive Arthritis vor?
Vor allem nach bakteriellen Erkrankungen der Geschlechtsorgane, des Magen-Darm-Traktes oder der Atemwege entwickelt sich etwa bei 30 bis 50 von 100.000 Betroffenen hierzulande nach wenigen Tagen bis Wochen eine reaktive Arthritis (ReA). Bei Männern tritt sie insgesamt ähnlich häufig wie bei Frauen.5
Nach einer bakteriellen Infektion der Geschlechtsorgane können Männer allerdings bis zu neunmal öfter eine reaktive Arthritis bekommen als Frauen.6 Die meisten Fälle entwickeln sich bei jungen Erwachsenen zwischen dem 20. Und 40. Lebensjahr. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass Chlamydien-Infektionen der Geschlechtsorgane, die einer reaktiven Arthritis mit am häufigsten vorausgehen, in diesem Lebensalter besonders oft auftreten.7
Die reaktive Arthritis gehört, wie Fachleute sagen, zu den seronegativen Spondyloarthritiden. Damit ist gemeint, dass bestimmte Antikörper, die bei anderen Gelenkentzündungen im Labor nachweisbar wären, hier meist fehlen. Zudem lassen sich die Bakterien, die jene Infektionskrankheit ausgelöst haben, nach der sich die reaktive Arthritis entwickelt, in der Regel nicht in der Gelenkflüssigkeit nachweisen und im Labor kultivieren.
Das sind die häufigsten ReA-Auslöser
Am häufigsten entwickelt sich eine reaktive Arthritis nach einer Infektion durch folgende Bakterien:
- Chlamydien (verursachen Geschlechtskrankheiten)
- Yersinia enterocolitica (lösen Darmentzündungen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall aus)
- Campylobacter jejuni (führen zu Entzündungen im Magen und im (Dünn-)Darm)
- Salmonellen (verantwortlich für die Salmonellose, eine akute Darmentzündung mit plötzlich einsetzendem Durchfall, Kopf- und Bauchschmerzen)
- Shigellen (lösen Shigellose (Bakterienruhr) mit kolikartiger Diarrhö aus)
- Klebsiellen (verursachen Lungenentzündungen, Harnwegsinfekte, Durchfall)
Die nachfolgende Tabelle fasst nochmal zusammen, welche bakteriellen Infektionen im weiteren Verlauf zu einer reaktiven Arthritis führen können.
Krankheitsbild | Erreger |
---|---|
Entzündung der Harnröhre Blasenentzündung Gebärmutterhalsentzündung Entzündung der Prostata Entzündung der Eileiter Entzündung der Eierstöcke Entzündung der Nebenhoden Entzündung der Gebärmutterschleimhaut | Chlamydien Ureaplasma urealyticum Mycoplasma hominis Gonokokken Gardnerella vaginalis |
Diarrhö Schleimhautentzündungen im Magen und/oder im Darm (Gastroenterokolitis) | Yersinien Salmonellen Shigellen Campylobacter Clostridium difficile Brucellen |
Nasennebenhöhlenentzündung Rachenentzündung (Pharyngitis) Entzündung der Bronchien Mandelentzündung (Tonsillitis) Lungenentzündung (Pneumonie) | Chlamydophila pneumoniae Streptokokken Mycobacterium tuberculosis |
Hautinfektionen | Staphylokokken Streptokokken Borrelia burgdorferi Bartonella henselae Brucellen Leptospiren |
Nicht nur Bakterien können schuld sein
Gelenkentzündungen (Arthritiden) können darüber hinaus gelegentlich auch nach anderen Infektionen auftreten. Dann handelt es sich medizinisch jedoch nicht mehr um eine reaktive Arthritis, sondern um andere Krankheitsbilder. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick.8
Krankheitsbild | Erreger |
---|---|
Gelenkinnenhautentzündung (Synovitis) | Viren, z.B. Rötelnvirus, Hepatitis B, Hepatitis C, Varizella-Zoster-Virus (Windpocken, Gürtelrose), Parvovirus B19 (Ringelröteln), Humanes Immundefizienz-Virus (HIV, AIDS) |
Rheumatisches Fieber | Bakterien, z.B. Streptokokken (Scharlach, Mittelohrentzündung, Mandelentzündung) |
Gonokokken-Arthritis | Gonokokken (Gonorrhö, Tripper) |
Lyme-Arthritis | Spirochäten (Syphilis, Borreliose) |
Eitrige Arthritis | Bakterien, z.B. Staphylokokken (Bindehautentzündung, Lungenentzündung), Streptokokken, E. coli (Magen-Darm-Infekte), Gonokokken, Meningokokken (Hirnhautentzündung), Brucellen (Brucellose), Mycobacterium tuberculosis (Tuberkulose) |
Wann steigt das Risiko, dass sich eine reaktive Arthritis entwickelt?
Forschende konnten mittlerweile mehrere Faktoren ausfindig machen, die es wahrscheinlicher machen können, dass eine reaktive Arthritis entsteht. Klar, dass jemand in jüngster Vergangenheit eine bakterielle Infektion durchgemacht hat, gehört logischerweise dazu.
Doch erstaunlicherweise verursacht diese Infektion in einigen Fällen überhaupt keine Beschwerden. Wie kann es dann trotzdem dazu kommen, dass Bakterien oder Teile von Bakterien in bestimmte Gelenke beziehungsweise in die Gelenkflüssigkeit (Synovia) gelangen und erneut eine Entzündung auslösen?
Wer HLA-B27 in sich trägt, ist gefährdet
Eine Schlüsselrolle scheint der Erbfaktor HLA-B27 zu spielen. Mehrere Studien konnten nachweisen, dass er bei 50 bis 80 von 100 Menschen mit einer reaktiven Arthritis vorkommt.9 Dies hat gleich zwei Folgen, die es begünstigen können, dass sich eine reaktive Arthritis entwickelt:
- HLA-B27 kann die Bakterienvermehrung verstärken. Das bedeutet: Je mehr Erreger im Körper vorhanden sind, desto wahrscheinlicher kann es werden, dass sie auch in die Gelenke gelangen.10
- Die Stoffe (Aminosäuren), die der Körper mithilfe von HLA-B27 bildet, haben u.a. eine große Ähnlichkeit mit Bestandteilen von bestimmten Bakterien. Das könnte es diesen Bakterien leichter machen, nach einer Infektion in bestimmten Gelenken zu verbleiben.11,12
Gut zu wissen: Wie das Immunsystem Eindringlinge erkennt
Die Abkürzung HLA steht „Humane Leukozyten Antigene“. Damit sind ganz besondere Moleküle gemeint, die bestimmte weiße Blutkörperchen (Lymphozyten) dabei unterstützen, körpereigene und körperfremde Stoffe zu unterscheiden und z.B. gegen Krankheitserreger umgehend eine Immunreaktion einzuleiten. Der „Bauplan“ für die HLA ist in einem speziellen Abschnitt des Chromosoms Nummer 6 genetisch gespeichert.
Dieser Abschnitt wird auch mit MHC (engl.: major histocompatibility complex) bezeichnet und wurde in der Transplantationsforschung entdeckt. Je stärker sich die MHC von Spender und Empfänger unterscheiden, desto heftiger wird ein Spenderorgan abgestoßen.
Die HLA spielen also eine zentrale Rolle im Immunsystem. Kommt es hier zu genetischen Veränderungen, kann dies nicht nur die Entstehung einer reaktiven Arthritis, sondern beispielsweise auch die Entwicklung von Allergien oder Autoimmunerkrankungen begünstigen.
Die Darmflora beeinflusst das ReA-Risiko
Auch das sogenannte Darmmikrobiom könnte an der Entstehung einer reaktiven Arthritis beteiligt sein. Damit sind die Billionen Mikroorganismen gemeint, die den Darm eines erwachsenen Menschen besiedeln. Zahlreiche Studien konnten inzwischen nachweisen, dass die Zusammensetzung des Darmmikrobioms, auch Darmflora genannt, großen Einfluss auf die körperliche und seelische Gesundheit haben kann.
Das scheint insbesondere für entzündliche Erkrankungen zu gelten. Und tatsächlich wurde in einigen Studien festgestellt, dass bei Menschen mit einer reaktiven Arthritis das Darmmikrobiom weniger vielfältig ist und ungünstige Mikroorganismen im Darm bei ihnen häufiger vorkommen.13 Daher liegt die Vermutung nahe, dass eine veränderte Darmflora ein weiterer Risikofaktor sein könnte. Dies ist wissenschaftlich jedoch noch nicht abschließend geklärt.
Entzündungsbotenstoffe ticken anders
Es verdichten sich die Hinweise, dass bei Menschen mit reaktiver Arthritis auch bestimmte Signalstoffe des Immunsystems auf charakteristische Weise ausgeschüttet werden, wenn ihre körpereigene Abwehr die verbliebenen Bakterien oder Teile von Bakterien in den Gelenken registriert und bekämpft.14,15,16
- Tumor-Nekrose-Faktoren (TNF) werden hauptsächlich von Fresszellen (Makrophagen) ausgeschüttet und können zu Entzündungssymptomen führen. Doch bei Menschen mit einer akuten reaktiven Arthritis wird der Tumor-Nekrose-Faktor Alpha (TNF-α) weniger ausgeschüttet. Bei einer chronischen reaktiven Arthritis liegt die TNF-α-Konzentration dann aber wieder höher.
- Interferone sind Signalstoffe, die Zellen anweisen, Proteine (Eiweißmoleküle) zu bilden, die sie gegen Infektionen widerstandsfähiger machen. Aber auch das Interferon-Gamma (IFN-ɤ) wird von Menschen mit einer reaktiven Arthritis weniger gebildet.
- Interleukine sind Signalstoffe, mit denen Abwehrzellen (Leukozyten) untereinander kommunizieren, um die Bekämpfung von Krankheitserregern besser zu koordinieren. Bei Menschen mit einer reaktiven Arthritis setzen die Abwehrzellen bestimmte Interleukine (IL) vermehrt frei, vor allem IL-10, IL-17 und IL-23.
Welche Symptome treten bei einer reaktiven Arthritis auf?
Eine reaktive Arthritis entwickelt sich in den meisten Fällen zwei bis vier Wochen nach der auslösenden Erkrankung. Jene bakteriellen Infektionen, die am häufigsten zu einer reaktiven Arthritis zu führen, können vor allem folgende Beschwerden verursachen:
- Brennen/Schmerzen beim Wasserlassen (Dysurie)
- Häufiges Wasserlassen (Pollakisurie)
- Ausfluss aus der Harnröhre (Urethra)
- Ausfluss aus der Scheide (Fluor vaginalis)
- Durchfallerkrankungen (Diarrhoe)
- Halsschmerzen (Pharyngitis)
- Husten (Bronchitis)
Allerdings können bakterielle Infektionen auch sehr leicht und fast beschwerdefrei verlaufen. Treten dann die Symptome einer reaktiven Arthritis auf, werden diese nicht unbedingt mit einer bakteriellen Infektion in Verbindung gebracht.
Die typischen Symptome einer reaktiven Arthritis
- Gelenkschmerzen
- Gelenkschwellung
- Gelenkentzündung
- Schmerzen im unteren Rücken
- Augenentzündungen
- Hautveränderungen
Eine reaktive Arthritis betrifft also überwiegend den sogenannten Bewegungsapparat. Vor allem die Gewicht tragenden Gelenke der unteren Extremitäten sind betroffen, also:
- die Knie
- die Hüfte
- die Sprunggelenke
Andere Gelenke, z.B. Schultern, Ellenbogen oder Handgelenke sind selten betroffen. Bei 70 von 100 Frauen und bei 73 von 100 Männern mit einer reaktiven Arthritis sind durchschnittlich ein bis vier Gelenke betroffen.17 Gelegentlich kann die Entzündung auch von einem Gelenk zum anderen „springen“.
Morgens Schmerzen im unteren Rücken
Bei etwa 49% der Betroffenen treten Schmerzen im unteren Rücken auf. Diese sind typischerweise am frühen Morgen am stärksten und lassen durch Bewegung nach. Darüber hinaus können sich bei einer reaktiven Arthritis auch dort Entzündungen entwickeln, wo Sehnen oder Bändern an einem Knochen ansetzen (Enthesitis).
Muskelschmerzen können ebenfalls vorkommen. Sieht ein ganzer Finger oder ein ganzer Zeh stark geschwollen aus, was bei einer reaktiven Arthritis allerdings nicht sehr häufig auftritt, wird gelegentlich auch noch von einem „Wurstfinger“ oder einem „Wurstzeh“ gesprochen.
Es trifft nicht nur den Bewegungsapparat
Es können aber nicht nur Entzündungen in den Gelenken auftreten, sondern auch außerhalb des Bewegungsapparates können sich bei einer reaktiven Arthritis Beschwerden entwickeln. Am häufigsten sind davon die Augen betroffen:18,19
- Mehr als 60% der Betroffenen entwickeln eine Entzündung der mittleren Augenhaut (Uveitis).
- Mehr als 50% der Betroffenen entwickeln eine Bindehautentzündung (Konjunktivitis)
Darüber hinaus kommt es bei etwa 20 von 100 Menschen mit einer reaktiven Arthritis zu Hautveränderungen. Es können sich Verhornungen auf den Handflächen und/oder den Fußsohlen entwickeln. Auch Hautveränderungen, die einer Schuppenflechte sehr ähnlich sind, können auftreten.20
Bei Männern mit einer reaktiven Arthritis kann zudem eine Entzündung der Eichel (Balanitis Circinata) vorkommen (etwa 10 bis 40% der Fälle).21 Zudem entwickelte sich bei einigen Patienten mit einer chronischen reaktiven Arthritis auch eine Herzbeutelentzündung (Perikarditis). Dagegen kam es bei einer akuten reaktiven Arthritis eher, jedoch ebenfalls nur vereinzelt, zu einer Herzklappenentzündung (Endokarditis) kommen.22
Innerhalb von sechs Monaten klingen die Symptome meistens ab
Bei den meisten Menschen mit einer reaktiven Arthritis lassen die Beschwerden innerhalb von sechs Monaten nach. Dann sprechen Ärztinnen und Ärzte von einer akuten reaktiven Arthritis. Etwa 10 bis 30% der Betroffenen neigen dazu, eine chronische reaktive Arthritis zu entwickeln, die länger als sechs Monate Symptome und Beschwerden verursacht.23
Wann mit einer reaktiven Arthritis zum Arzt?
Treten Beschwerden auf, die dafür sprechen, dass sich eine reaktive Arthritis entwickelt hat, sollten diese immer ärztlich abgeklärt und medizinisch behandelt werden (mehr zu Diagnosestellung und Therapiemöglichkeiten in den nächsten Abschnitten), um die Entzündungsprozesse im Körper frühzeitig einzudämmen.
Betroffene sollten sich zunächst an ihren Hausarzt wenden, ihm möglichst genau schildern, welche Gelenke und welche anderen Körperbereiche erkrankt sind und ihn unbedingt darauf hinweisen, wenn der Erkrankung eine bakterielle Infektion vorausgegangen ist. Sollte dies notwendig sein, kann der Hausarzt die genauere Abklärung und Weiterbehandlung bei einem Facharzt empfehlen.
Die besten Fachleute bei einer reaktiven Arthritis
Folgende Spezialisten können bei einer reaktiven Arthritis in die die Diagnosestellung und die Behandlung einbezogen werden:
- Rheumatologen: Sie sind Experten für entzündliche Erkrankungen der Gelenke und des Bewegungsapparats und die wichtigsten Ansprechpartner bei Verdacht auf reaktive Arthritis. Rheumatologen können umfassende diagnostische Tests durchführen, einschließlich Blutuntersuchungen, Gelenkuntersuchungen und Bildgebung.
- Orthopäden: Diese Fachärzte sind ebenfalls in der Diagnose und Behandlung von Gelenkerkrankungen geschult. Sie können Patienten untersuchen, wenn Gelenkschmerzen und Gelenkschwellungen im Vordergrund stehen, und bei der Therapie unterstützen.
- Urologen oder Gynäkologen: Da einer reaktiven Arthritis oft Harnwegsinfektionen vorausgehen, sollten Betroffene gegebenenfalls auch einen Urologen (Männer) oder Gynäkologen (Frauen) aufsuchen, um mögliche Infektionen abzuklären und behandeln zu lassen.
- Gastroenterologen: Bei einer reaktiven Arthritis, die durch eine Magen-Darm-Infektion ausgelöst wurde, können auch diese Spezialisten weiterhelfen, den Magen-Darm-Trakt eingehend untersuchen und bakterielle Infektion gezielt behandeln.
- Augenärzte: Sie sollten in die Behandlung einer reaktiven Arthritis einbezogen werden, wenn auch die Augen und das Sehen beeinträchtigt sind. Ob z.B. eine Bindehautentzündung (Konjunktivitis) oder eine Entzündung der Augenhaut (Uveitis) vorliegt, können diese Spezialisten am besten beurteilen.
Kein Grund, sich zu schämen
Insbesondere, wenn Bakterien den Genitalbereich infizieren, einer der häufigsten Ausgangspunkte einer reaktiven Arthritis, kann diese Situation schambehaftet und unangenehm sein. Doch Betroffene sollten sich von diesen Gefühlen auf keinen Fall von einem Besuch bei einem Arzt abhalten lassen. Bakterielle Infektionen im Genitalbereich können nicht nur gravierende Folgen haben, sondern sie sind auch ansteckend. Daher sollten sie immer ärztlich abgeklärt und medizinisch behandelt werden.
Das gilt auch für Magen-Darm-Infektionen und für bakterielle Erkrankungen der Atemwege. Diese können zwar zunächst mit frei verkäuflichen Arzneimitteln und/oder mit geeigneten Hausmitteln in Eigenregie behandelt werden. Doch wenn die Beschwerden nach wenigen Tagen nicht nachlassen oder sogar zunehmen, wenn hohes Fieber, starke Schmerzen und/oder ein ausgeprägtes, kräftezehrendes Krankheitsgefühl hinzukommen, sollte unbedingt eine Ärztin oder ein Arzt aufgesucht werden.
Diagnose: Wie wird eine reaktive Arthritis festgestellt?
Da eine reaktive Arthritis so unterschiedliche Beschwerden und Symptome auslösen kann, kommt es bei der Diagnosestellung vor allem auf eine genaue Anamnese und eine gründliche körperliche Untersuchung an. Die Ärztin oder der Arzt wird versuchen, sich in einem ausführlichen Gespräch ein möglichst lückenloses Bild von der Krankengeschichte des Betroffenen zu machen.
Zudem kommt es darauf an, andere Erkrankungen auszuschließen, vor allem 24:
- eine septische Arthritis
- eine Gicht
- eine Psoriasis-Arthritis
- eine Rheumatoide Arthritis.
Können sich Betroffene im Anamnese-Gespräch daran erinnern, vor wenigen Tagen oder Wochen eine bakterielle Infektion durchgemacht zu haben, kann die Ärztin oder der Arzt die Diagnose reaktive Arthritis relativ schnell stellen.
Um die Diagnosestellung zu erleichtern, haben einige Forschende verschiedene Kriterien vorgeschlagen, die, wenn sie erfüllt sind, deutlich dafür sprechen, dass eine reaktive Arthritis vorliegt.25 Dazu gehören folgende Punkte:
Hauptkriterien für die Diagnose reaktive Arthritis
- Es liegt eine Gelenkentzündung (Arthritis) vor, die mindestens zwei der drei folgenden Merkmale erfüllt:
- Die Gelenkentzündung ist asymmetrisch, betrifft also z.B. das linke Knie, während das rechte Knie keine Beschwerden verursacht.
- Die Entzündung betrifft nur wenige Gelenke (Mono- oder Oligoarthritis)
- Die Gelenkentzündung betrifft die unteren Gliedmaßen
- Der Gelenkentzündung ging eine bakterielle Infektion voraus, die mindestens eines der folgenden Merkmale erfüllt:
- Es handelte sich um eine Magen-Darm-Infektion, die mindestens einen Tag Durchfall verursachte und drei Tage bis sechs Wochen vor der Gelenkentzündung auftrat.
- Es handelte sich um eine Harnröhrenentzündung (Urethritis), die mindestens an einem Tag Schmerzen bei Wasserlassen und/oder krankheitsbedingten Ausfluss verursachte und drei Tage bis sechs Wochen vor der Gelenkentzündung auftrat.
Nebenkriterien für die Diagnose reaktive Arthritis:
- Die auslösende bakterielle Infektion kann z.B. mithilfe einer Urinkultur, eines Abstrichs oder eines Stuhltests nachgewiesen werden.
- In den Gelenkschleimhäuten (Synovia) lösen Bakterien oder Teile von Bakterien anhaltende Entzündungen aus, die sich immunhistologisch nachweisen lassen, z.B. mit einem PCR-Test.
Wie Ärzte diese Kriterien bewerten können:
- Sehr sichere Diagnose: Eine reaktive Arthritis liegt sehr sicher vor, wenn die Patientin oder der Patient beide Hauptkriterien und mindestens ein Nebenkriterium erfüllt.
- Wahrscheinliche Diagnose: Eine reaktive Arthritis liegt wahrscheinlich vor, wenn die Patientin oder der Patient nur ein Haupt- und nur ein Nebenkriterium erfüllt.
Zusätzliche Untersuchungen und Tests im Labor sichern die Diagnose ab
Um sie weiter abzusichern sowie in den Fällen, wo sich Betroffene nicht an eine bakterielle Infektion erinnern können, wird die Ärztin oder der Arzt weitere (Labor-)Tests und Untersuchungen durchführen (lassen). Dazu gehören:26
- Nachweis der auslösenden Bakterien im Stuhl oder im Urin
- Nachweis des genetischen HLA-B27-Merkmals
- Bestimmung von allgemeinen Entzündungswerten, z.B. die Blutsenkungsgeschwindigkeit (engl. Erythrocyte Sedimentation Rate, ESR) und das C-reaktive Protein (CRP)
- Ultraschall oder Röntgen der betroffenen Gelenke, um das Ausmaß der Entzündung noch genauer zu bestimmen
Wie wird eine reaktive Arthritis behandelt?
Bei der Behandlung einer reaktiven Arthritis muss die Ärztin oder der Arzt zwei Dinge im Blick behalten: die bakterielle Infektion, die wahrscheinlich zu der reaktiven Arthritis geführt hat, und die Reaktive Arthritis (ReA) selbst.
Sofern sich die Erreger der bakteriellen Infektion noch nachweisen lassen, können diese mit einem geeigneten Antibiotikum behandelt werden. Ob sich die Gabe von Antibiotika allerdings auch positiv auf den Verlauf der reaktiven Arthritis auswirken kann, ist wissenschaftlich bislang allerdings nicht zweifelsfrei nachgewiesen.27,28
Diese Medikamente kommen bei einer akuten reaktiven Arthritis infrage
Bei der Behandlung der reaktiven Arthritis muss die Ärztin oder der Arzt unterscheiden, ob es sich noch um eine akute reaktive Arthritis oder bereits um die chronische Variante handelt.
Bei einer akuten reaktiven Arthritis geht es vor allem darum, die (Gelenk-)Schmerzen zu lindern und die Entzündung einzudämmen. Dafür eignen sich zwei Wirkstoffgruppen: 29
- Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wirken schmerzlindernd, entzündungshemmend und fiebersenkend. Sie werden auch als nicht steroidale Antiphlogistika bezeichnet. Bekannte Wirkstoffe aus dieser Gruppe sind Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen oder Diclofenac. Eine weitere Variante der NSAR sind die sogenannten COX-2-Hemmer wie Celecoxib oder Etoricoxib.
- Glukokortikoide („Kortison“) wirken ebenfalls entzündungshemmend und können das Immunsystem bremsen. Sie werden vor allem bei Patientinnen und Patienten eingesetzt, die NSAR nicht vertragen oder bei denen sie nicht ausreichend wirken. In diesen Fällen können Glukokortikoide z.B. in die betroffenen Gelenke gespritzt werden (intraartikuläre Therapie).
Diese Medikamente kommen bei einer chronischen reaktiven Arthritis infrage
Stellt sich im Verlauf der Diagnosestellung heraus, dass es sich bereits um eine chronische reaktive Arthritis handelt, können weitere Medikamente zum Einsatz kommen. Dazu gehören:
- Antirheumatika: Aus dieser Gruppe der „krankheitsmodifizierenden Medikamente“ (engl. Disease-Modifying Antirheumatic Drugs, DMAR) kommen vor allem zwei Wirkstoffe bei einer chronischen ReA infrage: Sulfasalazin wirkt vor allem entzündungshemmend, in dem es am Ort des Entzündungsgeschehens in verschiedene Stoffwechsel-Prozesse eingreift. Methotrexat (MTX) kann die Symptome eine reaktiven Arthritis lindern, indem es im Körper die Umwandlung von Folsäure hemmt.
- Antikörper: Das Immunsystem stellt Antikörper her, damit es, falls ein Krankheitserreger erneut in den Körper eindringt, diesen noch schneller bekämpfen kann. Es ist aber auch möglich, Antikörper im Labor „nachzubauen“, um sie als Medikamente einzusetzen. Bei einer chronischen ReA sind das vor allem Antikörper, die bestimmte Entzündungsbotenstoffe beeinflussen. Zum Einsatz kommen z.B. TNF-alpha-Antikörper (Adalimumab oder Infliximab), Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper (Tocilizumab) oder Interleukin-17a-Antikörper (Secukinumab). Zu diesen Medikamenten liegen bislang allerdings nur wenige Studiendaten vor, die aber recht vielversprechend sind.30
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Gute Heilungsaussichten und wichtige Vorsorgemaßnahmen
Schlägt die Behandlung an, lassen die Beschwerden einer reaktiven Arthritis im Allgemeinen innerhalb von sechs Monaten nach.
Zu dauerhaften Gelenkschäden kommt es in der Regel nicht. Um vorzubeugen, sollten insbesondere Menschen, die im Verlauf der Diagnosestellung erfahren haben, dass bei ihnen das genetische Merkmal HLA-B27 vorliegt und sie demzufolge eine erhöhtes Risiko haben, darauf achten, dass sie sich vor bakteriellen Infektionen schützen, z.B. durch entsprechende Hygienemaßnahmen (Hände waschen, geschützter Geschlechtsverkehr usw.).
Treten trotzdem Symptome eine bakteriellen Infektion auf, sollten diese nach Möglichkeit immer ärztlich abgeklärt werden, um eine erneute reaktive Arthritis möglichst zu vermeiden.
Stand: 09.2024
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