Ein Interview über Selbstfürsorge, Lebensfreude und den Umgang mit einer unsichtbaren Krankheit
„Man muss nicht alles alleine tragen.“
Chronisch krank zu sein, bedeutet, sich auch innerlich damit arrangieren zu müssen, dass eine Erkrankung zu einer lebenslangen Begleiterin geworden ist. Sarah weiß seit 2023, dass sie das Sjögren Syndrom hat. Am Anfang fiel es ihr schwer, das zu akzeptieren. Doch die 35-Jährige hat gelernt, der Krankheit nicht unnötig viel Raum zu geben, die Gegenwart zu genießen statt sich Sorgen um die Zukunft zu machen, Grenzen zu setzen und Hilfe anzunehmen. Ihre Erfahrungen hat gern mit „Meine Gelenkschmerzen“ geteilt, weil sie auch anderen Betroffenen Mut machen möchte.
Das Video-Interview
Inhalte aus dem Interview
Sarah, du hast die Diagnose Sjögren-Syndrom erhalten. Erinnerst du dich an den Moment, als dir klar wurde, dass das nun ein Teil deines Lebens ist? Wie bist du emotional damit umgegangen?
Ja, das weiß ich noch gut. Im ersten Moment war es eine große Erleichterung, endlich zu wissen, was los ist. Aber danach kam auch eine Phase, in der ich in ein kleines Tief gefallen bin. Ich hatte lange gesucht, war erschöpft und am Anfang habe ich innerlich stark gegen die Diagnose angekämpft. Ich wollte das nicht akzeptieren, wollte nicht, dass es „meins“ ist. Eine Psychologin hat mir dann geholfen, diesen inneren Kampf zu erkennen. Sie machte mich darauf aufmerksam, wie ich über meine Erkrankung spreche – immer in Begriffen wie „Ich kämpfe dagegen“. Das hat mir die Augen geöffnet. Ein Kampf kostet Energie. Heute versuche ich, mehr in Einklang mit meiner Erkrankung zu leben, auch wenn das nicht immer leicht ist. Es ist ein Weg.
Wie würdest du diesen Weg beschreiben? Gab es bestimmte Phasen, die du durchlaufen hast, um zu dieser Haltung zu finden?
Ich würde sagen, es war eine emotionale Achterbahnfahrt. Es gab Momente voller Frust und Wut, aber auch solche, in denen ich mich stark und handlungsfähig gefühlt habe. Besonders wichtig war für mich das Gefühl, selbst etwas tun zu können. Das nennt man in der Psychologie Selbstwirksamkeit. Ich habe angefangen, auf meine Ernährung zu achten, mich über die Erkrankung zu informieren und neue Dinge auszuprobieren, zum Beispiel Meditation. Ich bin eigentlich ein unruhiger Mensch, aber gerade diese ruhigen Momente helfen mir heute sehr, bei mir zu bleiben. Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen. Es geht darum, herauszufinden, was gut tut und was einem Kraft gibt.
Was hilft dir dabei, auch in schwierigen Momenten emotional stabil zu bleiben? Hast du Strategien entwickelt, die dir guttun?
Ich versuche, nicht in Katastrophengedanken abzurutschen. Klar, beim Sjögren-Syndrom kann es zu Organbeteiligungen kommen. Aber das muss nicht passieren. Ich gehe regelmäßig zu meinen Vorsorgeterminen und entscheide bewusst, mich nur dann mit etwas zu beschäftigen, wenn es wirklich ein Thema ist. Ich möchte meine Gegenwart nicht mit Sorgen über eine ungewisse Zukunft verbringen. Und wenn es doch mal schwierig ist, lasse ich auch Gefühle wie Wut oder Traurigkeit zu. Manchmal ist es wichtig, sich durch solche Emotionen durchzutreiben, wie durch einen Strudel, wie meine Therapeutin es mal gesagt hat. Und dann taucht man irgendwann wieder auf.
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Was bedeutet es für dich, mit dir selbst in gutem Kontakt zu sein? Und was hilft dir, deine eigenen Grenzen rechtzeitig zu erkennen?
Ich glaube, ich habe die Verbindung zu mir selbst lange ignoriert. Ich bin oft über meine eigenen Grenzen gegangen, habe mich zu sehr gefordert, ohne innezuhalten. Heute sehe ich die Erkrankung auch als eine Art Wegweiser. Sie hilft mir, besser auf mich zu achten. Wenn meine Augen trocken werden oder mir übel wird, weiß ich, dass es Zeit ist, einen Schritt zurückzugehen. Ich habe auch gelernt, Nein zu sagen, wenn mir etwas zu viel wird. Das fällt mir heute viel leichter als früher. Gleichzeitig ist mir wichtig, meine Erkrankung nicht als Ausrede zu benutzen. Ich nehme sie ernst, aber ich möchte mich nicht dahinter verstecken.
Wie gelingt es dir, der Erkrankung nicht zu viel Raum in deinem Leben zu geben und dennoch offen damit umzugehen?
Das ist ein Balanceakt. Es gibt Phasen, da möchte ich über andere Dinge sprechen als über meine Krankheit. Ich lenke Gespräche dann bewusst in eine andere Richtung. Gleichzeitig finde ich den Austausch mit anderen Betroffenen sehr wertvoll. Ich möchte mich nicht über meine Diagnose definieren, aber ich weiß, dass ich durch meine Erfahrungen anderen helfen kann. Auf Instagram teile ich manchmal Tipps, aber ich merke auch, dass ich wieder mehr Raum für andere Themen brauche. Es geht darum, sich nicht auf die Erkrankung zu reduzieren, sondern das Leben in seiner ganzen Vielfalt zu leben.
Wie hat die Erkrankung deine Sicht auf das Leben verändert? Gibt es Dinge, die du heute bewusster oder anders machst als früher?
Definitiv. Ich schiebe nichts mehr auf. Im letzten Sommer hatte ich starke Entzündungen in den Händen, und es war unklar, ob ich sie je wieder so nutzen kann wie früher. Da wurde mir klar, wie verletzlich wir sind. Ich habe mir einen Camper gekauft, weil ich reisen möchte, solange ich es kann. Ich möchte nicht erst mit 60 Fallschirm springen, sondern heute. Diese Haltung gibt mir Kraft und Lebensfreude.
Gibt es bestimmte Menschen oder Momente, aus denen du besonders viel Kraft ziehst?
Meine Freundinnen und Freunde sind mir unglaublich wichtig. Mit ihnen gemeinsam Kaffee trinken, lachen, einfach da sein – das ist für mich ein sicherer Ort. Ich habe auch eine Freundin, die mich zu Arztterminen begleitet hat, einfach um mitzukommen und mir Feedback zu geben. Sie spiegeln mir, wenn ich über das Ziel hinausschieße oder zu hart mit mir bin. Ich bekomme keine Mitleidsreaktionen, sondern ehrliche Rückmeldungen und das ist mir wichtig. Ich möchte nicht bemitleidet werden, sondern ernst genommen. Und ich glaube, genau das passiert, wenn man offen, aber nicht selbstbemitleidend kommuniziert.
Gibt es auch Dinge, die du ganz bewusst tust, um neue Energie zu tanken oder dich wieder mit dir selbst zu verbinden?
Ja, sehr viele sogar. Ich liebe es, in der Natur zu sein, spazieren zu gehen, mit meinem Hund unterwegs zu sein. Ich habe sound baths, also Klangbäder für mich entdeckt, Klangschalenmeditationen, die mir sehr guttun. Yoga hilft mir dabei, bei mir zu bleiben und meinem Körper achtsam zu begegnen. Und auch wenn es aktuell nicht geht, möchte ich irgendwann wieder joggen gehen. Das war früher meine Kraftquelle. Mein Rheumatologe glaubt daran, dass ich wieder dahin zurückkomme und ich vertraue ihm.
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